Handdenker Projekte

Im Sommersemester 2012 wurde an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee ein fächerübergreifendes Semesterprojekt angeboten, das unter der künstlerischen Leitung von Prof. Helmut Staubach, Prof. Zane Berziner, Isabelle Dechamps und Melinda Barth Gestaltungsprozesse in unterschiedlichen Werkstätten initiierte und als Bildungsansatz fortführte. 10 Student*innen erarbeiteten mit Mitarbeiter*innen der Kerzengießerei der Mosaik gGmbH, der Bonbonmanufaktur der Faktura gGmbH, der Holzwerkstatt der VIA Werkstätten sowie der Handbuchbinderei der Spektrum GmbH neue Ideen für die Produktion der Werkstätten. Diese Entwürfe und der gemeinsame Arbeitsprozess wurden in der Ausstellung “Wir sind Handdenker” im Juli 2012 in der Kunsthalle am Hamburger Platz in Berlin gezeigt.

»Wir denken hier mit Kopf, Hand, Fuß ... und der Zunge in der Bonbonmanufaktur.«

Projektteilnehmer aus dem Bonbon-Team

be able in der Tischlerei der VIA Werkstätten

Ausgehend von den individuellen Vorstellungen und Erwartungen der Teilnehmer*innen an das Projekt, begann die Arbeit in der VIA-Holzwerkstatt mit einer Recherche zu den Objekten unserer Alltagswelt und dem Rohstoff Holz. Die Frage, weshalb Holz einen so hohen Stellenwert in unserer Gestaltung hat, wurde dabei genauso beleuchtet, wie das Verständnis für dessen qualitative Vorzüge und Reize. In der ersten Phase wurde mit den Wechselwirkungen zwischen Holz und anderen Materialien experimentiert, unterstützt durch intuitive Übungen zu Form und Oberflächensprache. Danach folgten spielerische Übungen zur Ideenfindung. Aufgrund des Bedürfnisses nach einem klarer gesteckten Rahmen, aber auch unterstützt durch reges Interesse der Teilnehmer*innen an dem Material, wurde der Tafellack als verbindendes Thema festgelegt. Die zweite Phase konzentrierte sich auf Experimente mit dem neuen Material, um Möglichkeiten, Potenziale und Grenzen auszuloten. Im dritten Schritt der Werkstattphase folgte die Ausarbeitung der individuellen Ideen. Alle Stufen des Prozesses waren sehr praktisch orientiert, um über das physische Tun zu neuen Möglichkeiten und Potenzialen zu gelangen und diese in einer materialgerechten Gestaltungsweise auszudrücken und anzuwenden.

be able in der Handbuchbinderei bei Spektrum Netzwerk

Bemerkenswert ist der Aufwand und die Sorgfalt, mit denen die Teilnehmer*innen ihrer Arbeit bei Spektrum nachgehen und dadurch allen Produkten eine sehr hohe Qualität verleihen. Dennoch gab es einiges an Entwicklungspotential bezüglich Material, Farbe und Form – und das, obwohl der Materialfundus der Werkstatt neben Karton und Papier auch viele interessante Ledersorten oder besondere textile Oberflächen mit Glitzer, Pailletten und Aufdrucken umfasst. Ziel von be able war es daher, die Teilnehmer*innen des Projektes zu sensibilisieren, Farben und Materialitäten immer im Bezug zu Form und Nutzung der Produkte und ihrer Konsument*innen zu sehen. Das vorhandene Potential der Teilnehmer*innen wurde drei Wochen lang durch verschiedene Workshops erkundet, gefördert und danach im individuellen Entwurfsprozess angewendet. Die Herausforderung bestand darin, zwischen klar abgesteckter Werkstattproduktion und experimentellem Designprozess des Projektes, einen gemeinsamen Mittelweg zu finden. Die Teilnehmer*innen sollten ihre übliche Arbeitsweise weiterhin verfolgen können, ohne aus ihrer Routiniertheit heraus gerissen zu werden. Gleichzeitig sollten sie, in ihren eigenen Ideen bestärkt und zu kritischer Selbstreflexion angeregt werden, um so kreative, neuartige Produkte entwickeln zu können.

be able in der Kerzenwerkstatt von Mosaik

Die Arbeit in der Kerzengießerei erforderte viel Engagement bei der Vermittlung von gestalterischem Grundwissen und bot ein hohes Maß an kreativem Potential. Wachs als Material ist äußerst facettenreich und bietet die Möglichkeit einer sehr individuellen Verarbeitung. So sollte jede*r Projektteilnehmer*in einen eigenen Ansatz finden, diesen Rohstoff zu gestalten. Als Grundlage dienten kleinere werkstoff- und werkstattspezifische Workshops, die sich mit gestalterischen Basics, wie vor allem Farbe, Form und Oberflächenstruktur beschäftigten. Darauf aufbauend konnte jede*r Teilnehmer*in eine eigene Idee entwickeln, die in sieben Wochen von der ersten Skizze bis zur Entstehung von produktionsfähigen Prototypen ausgearbeitet wurde. Dabei war ein großes Umdenken in der angelernten Designsprache gefragt, die nun nicht mehr die detailgetreue Darstellung einer realen Vorlage verlangte, sondern das Umsetzen einer abstrakten Idee in eine klare Formensprache ohne vorgefertigte Gussformen und Dekorationselemente. Im Vordergrund stand also die Entdeckung der eigenen Fähigkeit, diese Formensprache zu entwickeln und das altbekannte Material neu zu erleben. Durch die Kombination von theoretischem Input, praktischen Übungen, viel Gestaltungsfreiheit und intensiven Gesprächen konnten die Teilnehmer*innen erfahren, wie ein umfangreicher Gestaltungsprozess aussieht, an dessen Ende das befriedigende Ergebnis der eigenen umsetzbaren Kreativität steht.

be able in der Bonbonmanufaktur bei Faktura

Die Herstellung von Bonbons und Lollies erfordert zahlreiche handwerkliche Fähigkeiten und ein vielschichtiges Wissen um die Eigenschaften und Verarbeitungsmöglichkeiten des Werkstoffes Zucker und dessen Zusatzstoffen. Aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen aller Projektteilnehmer*innen, setzte die kreative Arbeit erst beim Modellieren der Zuckermasse ein. Hier galt es, sich von den bereits bestehenden Produkten zu lösen, um neue Formen und Farben zu finden. Über einen längeren Zeitraum wurde experimentiert und Entwurfsideen wiederholt im Material überprüft. Um die Teilnehmer*innen für ästhetische Veränderungen zu sensibilisieren, gab es begleitende Workshops über die Bedeutung von Farben und Verpackung. Die Entwicklung neuer Geschmacksrichtungen spielte so eine eher untergeordnete Rolle. Da die Produktion in der Bonbonmanufaktur ausschließlich im Team stattfindet, hatte auch die Experimentierphase einen Einfluss auf das gesamte Team. Eine gemeinsame Erkenntnis ist, dass die eigene Anstrengung nicht immer gleich zum Erfolg führt. Insgesamt wirkten der Austausch untereinander und die kreative Arbeit überaus inspirierend und stärkten das Gruppengefühl. Alle Beschäftigten profitieren von diesen wertvollen Erfahrungen – auch in Zukunft.

be able in der Textilwerkstatt bei Faktura

Umfangreiche technische Möglichkeiten und vielfältige Materialien, kombiniert mit dem Talent der Beschäftigten, eröffneten einen weiten Gestaltungsfreiraum in der Textilwerkstatt. In Verbindung mit ihrer jahrelangen Erfahrung im Filzen und Nähen, ermöglichte dies eine breite Grundlage für den Designprozess. Anfängliche Übungen und Materialexperimente dienten vor allem als Anregung, um über Wahrnehmung und neue Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken, was sich auf die weiteren Arbeitsphasen auswirken sollte. Dabei gab es keine Beschränkung auf Textilien, vielmehr wurden in der spielerischen Ideenentwicklung für neue Produkte auch Naturmaterialien, Klang, Farbe, Wörter oder Zeichnungen einbezogen. Ziel des Prozesses war, das Interesse der Teilnehmer*innen an der Entwicklung eines eigenen Produkts zu wecken, in dem ihr Talent, ihre Interessen und ihr Bezug zum jeweiligen Material zusammengeführt und reflektiert werden. Dabei kamen Möglichkeiten ins Blickfeld, die vorher nie ausprobiert wurden und die Teilnehmer*innen lernten einen eigenen Weg kennen, mit Design umzugehen. In der Auseinandersetzung mit der Ästhetik des Materials, dessen Eigenschaften und der Funktion des Produkts konnte jede*r einem eigenständigen Designprozess folgen.



In Zusammenarbeit mit




Lehrende: 

Prof. Zane Berziner, Prof. Helmut Staubach und Isabelle Dechamps